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Horse­man­ship – Die Philosophie

Horse­man­ship bedeu­tet – auf eine rein sach­li­che Kurz­for­mel gebracht –, dass der Mensch von seiner Ein­stel­lung und in seinen Hand­lun­gen stets die Bedürf­nisse des Pfer­des berück­sich­tigt und dass er zugleich der aktive Gestal­ter einer part­ner­schaft­li­chen Bezie­hung ist.

Um dem gerecht zu werden, muss der Mensch zunächst lernen, wie ein Pferd zu denken und zu kom­mu­ni­zie­ren und in der Mensch-Pferd-Bezie­hung eine natür­li­che, freund­li­che und kom­pe­tente Füh­rungs­rolle ein­zu­neh­men. Not­wen­dig dafür sind eine ver­bes­serte Bewusst­heit, fun­dier­tes Wissen, bestimmte „hand­werk­li­che“ Fer­tig­kei­ten und vieles mehr – alles Dinge, die man erler­nen und trai­nie­ren kann.

Nicht erler­nen kann man die Liebe zum Tier. Eben­falls nicht erler­nen kann man Instinkte; das muss man aber auch nicht, denn sie sind ja ange­bo­ren. Die des Men­schen sind meist „ver­schüt­tet“ und müssen neu ent­deckt werden, die des Pfer­des hin­ge­gen sind leben­dig (sofern sie nicht durch Men­schen­hand unter­drückt wurden). Viel­leicht ist diese wahre, leben­dige, erleb­bare Natur der Grund, warum diese Wesen eine solche Fas­zi­na­tion auf uns ausströmen.

Horse­man­ship wird leider häufig miss­ver­stan­den, zum Bei­spiel als Ansamm­lung bestimm­ter Signale, Tricks oder Tech­ni­ken, manch­mal als eine Art Reit­weise, häufig als „sanf­ter“ Umgang, von man­chen gar als etwas Magisches.

In Wirk­lich­keit ist es die beste Basis für alles, was man mit Pfer­den tun möchte. Warum?

  1. Das Pferd hat ganz ein­fach ein Recht darauf. Dies sage ich als sein „Anwalt“.
  2. Es ist zeit­lich und wirt­schaft­lich am effek­tivs­ten. Dies sage ich als Prozessoptimierer.
  3. Es macht glück­lich. Dies sagen das Kind und der Welt­ver­bes­se­rer in mir …

Warum ist die mensch­li­che Füh­rungs­rolle unerlässlich?

Das Pferd ist ein evo­lu­tio­nä­res Erfolgs­mo­dell und wird bis heute von (Überlebens-)Instinkten gelei­tet, deren Ent­wick­lung Mil­lio­nen Jahre andau­erte. Einer dieser Instinkte zielt darauf ab, den Rang eines jeden Sozi­al­part­ners zu ermit­teln und lau­fend zu prüfen, sowohl den der Art­ge­nos­sen, aber auch den des Men­schen, der in sein Leben tritt. Gleich­zei­tig ist das Pferd in der Regel größer, schnel­ler und stär­ker als der Mensch und kann diesen leicht in die unter­schied­lichs­ten Gefah­ren brin­gen. Allein aus Sicher­heits­grün­den muss der Mensch daher die gemein­sa­men Akti­vi­tä­ten über­bli­cken, gestal­ten und not­falls kon­trol­lie­ren. Gemeint ist nicht etwa ein Dik­ta­tor, son­dern eine echte Füh­rungs­per­sön­lich­keit, welche dem Wohl des Pfer­des bzw. der Herde durch gute Anlei­tung dient, wobei „gut“ keine mensch­li­che Geschmacks­frage ist, son­dern von der Natur und den Bedürf­nis­sen des Pfer­des ziem­lich klar defi­niert wird. Und dieser Punkt ist min­des­tens ebenso wich­tig wie die Sicher­heit: das Pferd sucht instink­tiv nach diesem Führer, denn es ist von Natur aus ein treuer Gefolgsmann.

Die Leit­stute in der Natur dient der Herde, indem sie vor­an­geht, auf der Suche nach den besten Wegen, zu den besten Zielen. Sie ver­zehrt ihre Kräfte, indem sie sich als erste durch hohen Schnee kämpft. Sie begibt sich in Gefahr, indem sie als erste das Wasser durch­quert. Sie frisst als letzte, denn sie sichert noch lange nach Errei­chen der Wei­de­gründe mit erho­be­nem Kopf. Sie frisst am kür­zes­ten, denn wäh­rend die Ande­ren beim Grasen oft nur die Ohren spit­zen, um auf ihre über­le­bens­wich­ti­gen Signale zu achten, beob­ach­tet sie schon beim kleins­ten Ver­dacht auf Gefahr sofort auf­merk­sam die Umge­bung. Sie trifft die Ent­schei­dung – blitz­schnelle Flucht und damit wert­volle Ener­gie auf­brau­chen oder doch weiter Ener­gie­re­ser­ven auf­bauen für den Moment, in dem sie wirk­lich über­le­bens­not­wen­dig werden? Sie kämpft mit an vor­ders­ter Front, wenn Flucht keine Option mehr sein sollte, sei es wegen abge­schnit­te­ner Flucht­wege oder um die Fohlen zu schüt­zen. Ihr Leben ist Dienst an der Herde, die ihr ver­traut. Lange hält sie diesen Job nicht durch. Es ist ein schwe­rer Job. Wenn die Umstände ein Pferd nicht zum Führer beru­fen, so möchte es nicht führen. Es sucht nach seinem Führer. Und es über­prüft ihn stän­dig aufs Neue. Nicht um nach dessen Platz zu trach­ten, son­dern um sein Leben zu schüt­zen. Nicht ratio­nal, nicht emo­tio­nal, son­dern instinktiv.

Welche Bedürf­nisse des Pfer­des sind oben gemeint?

Hier ein paar Denkanstöße:

Wuss­test Du, dass ein erheb­li­cher Pro­zent­satz der Haus­pferde unter mehr oder weni­ger schwe­ren Ver­hal­tens­stö­run­gen leidet, die unter Wild­pfer­den so gut wie nicht beob­ach­tet werden?

Pferde sind sehr soziale Tiere. Sie benö­ti­gen aus­gie­bi­gen Kon­takt zu mög­lichst nicht (häufig) wech­seln­den Art­ge­nos­sen, im Ide­al­fall in Form eines Her­den­ver­ban­des und mit ent­spre­chen­den Umge­bungs- bzw. Hal­tungs­be­din­gun­gen. Die Natur bietet ihnen selbst­be­stimmte Zeit und nahezu unbe­grenzte Flä­chen zum Spie­len, Kämp­fen, Laufen, Sonnen, Dösen, Wälzen, Liegen, Schla­fen und Toben, zur soli­tä­ren und sozia­len Fell­pflege, für natür­li­ches Sexu­al­ver­hal­ten und vieles mehr. Sie fres­sen nor­ma­ler­weise etwa 2/​3 der Tages­zeit. Ihr Ver­dau­ungs­sys­tem ist daher für viel­stün­dige Fress­pau­sen nicht aus­ge­legt und nimmt Scha­den. Die her­kömm­li­chen Hal­tungs­for­men ver­weh­ren die Erfül­lung ihrer natür­li­chen Bedürf­nisse weit­ge­hend. Sie reagie­ren gestresst, resi­gniert, abweh­rend, manch­mal aggres­siv, ent­wi­ckeln Unwohl­sein, Ver­hal­tens­stö­run­gen und Krank­hei­ten mit teil­weise schwe­ren Ver­läu­fen bis hin zum Tod.

Wuss­test Du, dass Haus­pferde im Durch­schnitt nur etwa ein Drit­tel ihrer theo­re­tisch mög­li­chen Lebens­er­war­tung erreichen?

Von den meis­ten Pfer­den werden Leis­tun­gen erwar­tet. Am schlimms­ten trifft es wahr­schein­lich die Renn­pferde. Sie gehen mit ca. 2 Jahren auf die Bahn, und mit 4 Jahren sind sie „durch“. In diesem Alter würde ich ein Pferd nicht einmal anrei­ten. Das sind Kinder! Zum Ver­gleich: die ange­nom­mene Lebens­er­war­tung beträgt 25 – 30 Jahre, manche Pferde werden 40, 50 oder sogar über 60 Jahre alt. Aber auch in fast allen ande­ren Berei­chen errei­chen die Pferde im Durch­schnitt ihren Leis­tungs­ze­nit sehr früh – wenn sie über­haupt für „brauch­bar“ befun­den wurden. Manche gehen zur Selbst­ver­tei­di­gung über und gelten als „unreit­bar“. Und dann? Manche werden von „Hor­sem­an­ship­lern“ oder ein­fach nur Tier­freun­den geret­tet. In Ame­rika können sie viel­leicht noch Glück haben und eine Rodeo-Lauf­bahn ein­schla­gen. Aber der Rest? Ver­läss­li­che Zahlen liegen mir nicht vor. Gerüch­te­hal­ber kur­sie­ren für das durch­schnitt­li­che Lebens­al­ter des deut­schen Sport­pfer­des Anga­ben zwi­schen 7 und 11 Jahren. Ob es wirk­lich so dra­ma­tisch ist, kann ich der­zeit nicht ein­schät­zen. Fakt ist jedoch, dass viele Pferde nicht das Glück haben, ihren wohl­ver­dien­ten Lebens­abend auf einer „Rent­ner­kop­pel“ zu ver­brin­gen. Sie „ver­schwin­den“ statt dessen unauffällig.

Wuss­test Du, dass Pferde von der Natur abso­lut nicht dafür aus­ge­legt sind, ein Rei­ter­ge­wicht zu tragen, son­dern dies in den meis­ten Fällen ihren Körper erheb­lich verschleißt?

Das Pferd bewegt sich, wie es ihm die Natur in die Gene gelegt hat. Damit kommt es her­vor­ra­gend zurecht, und zwar seit Mil­lio­nen von Jahren. Selbst mit Gepäck lernt es recht schnell, sich so zu bewe­gen, dass es mög­lichst keinen Scha­den nimmt. Aber der Mensch auf seinem Rücken ist häufig ein Fiasko. Er bringt das Pferd aus der Ruhe und aus dem Gleich­ge­wicht, ver­wirrt seinen Geist, ver­spannt seine Mus­keln, über­las­tet seine Bänder, ent­zün­det Drüsen, Schleim­beu­tel und andere Organe, ver­schleißt Gelenke und Wir­bel­säule, ver­letzt Mäuler und Haut …

Dies alles lässt sich ändern. Das Wissen darum exis­tiert seit meh­re­ren tau­send Jahren (Bei­spiel: Xeno­phon ca. 400 J. v. Chr.) und wird bis heute über­lie­fert und weiter ent­wi­ckelt. Unter ande­rem in der Aka­de­mi­schen Reit­kunst nach Bent Bran­de­rup, einem der besten leben­den Reiter der Welt, wel­cher uns einmal augen­zwin­kernd erzählte:

„Wir sind Gepäck­pferde gerit­ten und ich habe noch nie ein Gepäck­pferd erlebt, das nicht über den Rücken gegan­gen ist. Zu meiner Schande muss ich geste­hen, dass mein Pferd nicht über den Rücken gegan­gen ist. Ich musste mich also bemü­hen, nicht schlim­mer zu reiten als mein Gepäck.“

Früher brachte die Post­kut­sche die Infor­ma­tio­nen aus der Ferne.
Heute schauen wir auf elek­tro­ni­sche Daten­sicht­ge­räte. So wie Du jetzt … 😉
Früher war das Pferd ein Nutz­tier. Es zog den Pflug und schwere Wagen mit allen erdenk­li­chen Ladun­gen, es trug den Rei­sen­den durch die Lande und den Krie­ger in die Schlacht. Der Mensch war auf das Pferd angewiesen.
Heute wird all dies von Maschi­nen erle­digt. Es ist höchste Zeit umzu­den­ken. Der Mensch nutzt dieses edle Geschöpf nur mehr zu seinem Ver­gnü­gen. Sollte er dies nicht end­lich so tun, als ob er im nächs­ten Leben mit ihm tau­schen müsste?